Händeschütteln in der Schule – muss man, soll man, darf man? Einschätzungen von Betroffenen
24. Juli 2017 | Religion und Religiosität

Der MSA ist geschafft und die Lehrerin gratuliert ihren Schüler_innen. Als sie bei einem Jungen ankommt, mit dem sie in letzter Zeit im Unterricht immer wieder aneinandergeriet, will sie ihm ein paar versöhnliche Worte sagen und hält ihm die Hand hin. Er jedoch macht einen Schritt zurück, statt ihre Hand zu ergreifen, legt er seine Rechte auf die Brust und erklärt, dass er die Hand einer Frau aus religiösen Gründen nicht berühren könne. Der Lehrerin bleiben die freundlich gemeinten Worte im Halse stecken, stattdessen erwidert sie: „Das hätte ich nicht von Dir gedacht, nach allem, was ich für Dich getan habe.“ Ein Wort gibt das andere und es dauert nicht lange, bis die Schule, die Stadt und schließlich auch überregionale Zeitungen über den Vorfall streiten. Ist der Junge womöglich gefährdet, sich zu radikalisieren, oder plant er gar die Ausreise nach Syrien?

Das Thema Händeschütteln an Schule sorgt für heftige Debatten und Verletzung auf allen Seiten. Die Frage, warum wer wem die Hand gibt, gerät darüber leicht in Vergessenheit. Ufuq.de hat sich umgehört: Was sagen muslimische Schüler_innen und deren Lehrer_innen, was sagen islamische Prediger und Intellektuelle? Repräsentativ ist unsere Umfrage nicht, schließlich begrüßt sich die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslim_innen ganz selbstverständlich per Handschlag und auch die meisten religiösen Autoritäten hierzulande halten dies für richtig. Nur eine kleine Minderheit entscheidet sich aus religiösen Gründen dagegen, die Hand zu reichen.

Wenn bei uns gleich mehrere Personen zu Wort kommen, die das Händeschütteln für sich ablehnen und dies mit dem Wunsch nach körperlicher Unberührtheit begründen, soll damit nicht der Eindruck erweckt werden, dies sei eine weitverbreitete Haltung. Vielmehr geht es darum, gerade die unterschiedliche Wahrnehmungen und Erklärungen sichtbar zu machen und damit überhaupt erst ein Gespräch zu ermöglichen. Denn wie so oft geht es auch hier genau darum: Nachzuvollziehen, worum es dem anderen geht – und wie sich ein Zusammenleben gestalten lässt.

Einige der Befragten wollen ihren Namen lieber nicht veröffentlicht sehen. Ihre Namen sind mit * gekennzeichnet.


 

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„Ich kenne Muslime, die Frauen wegen des Islams nicht die Hand geben, aber nicht sehr viele. Ich bin Muslima und meine Freunde zum großen Teil auch, aber das Nicht-Hand-Schütteln ist etwas, was in meinem Bekanntenkreis nicht vorkommt. Es ist mir so fern wie Polygamie oder Kamelrennen. Abgesehen davon muss ich jetzt mal scharf überlegen, wann ich das letzte Mal jemanden die Hand gegeben habe. Wenn wir uns unter Freunden begrüßen, küssen wir uns auf die Wange oder berühren uns am Arm, aber wer gibt schon die Hand? Vielleicht bei Familienbesuchen oder in der Schule bei offiziellen Sachen. Es gehört schon dazu, ist eine Geste im offiziellen Umgang, aber eben nicht so sehr in unserem normalen Leben. Es ist so wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Vielleicht erklärt das auch ein bisschen, weshalb die Leute sich so aufregen. Sie trauern eine Kultur nach, die sich gerade auflöst, weil eine neue Generation da ist.“

Aliye F., 19 Jahre, Schülerin einer Berufsfachschule in Berlin


 

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„Mir hängt das Thema sowas von zum Hals heraus. Typische Mediendebatte. Die suchen doch nur wieder etwas, was sie uns Muslimen anhängen können. Entweder sind wir radikal oder wir sind unhöflich. Kann man nicht endlich mal aufhören, sich an solchen Äußerlichkeiten aufzuhalten. Es geht doch am Ende eh nur darum, dass wir nicht dazugehören und es nicht schaffen können. Dabei will ich gar nicht dazugehören. Ich will einfach nur in Frieden mein Ding machen. Ich muss aber schon zugeben, dass mir die muslimischen Typen auf die Nerven gehen, die meinen, dass sie mich klein machen können, indem sie mir nicht die Hand geben. Ich hasse sie. Diese Blicke, diese Arroganz. Wenn sie mir nicht die Hand geben, dann transportieren sie damit doch zugleich, dass sie meinen Lebensstil ablehnen. Ich stecke also in der Situation, dass ich ein Problem mit beiden Seiten habe. Aber ich würde nie die muslimischen Männer vor den Lehrerinnen kritisieren. Das ist es doch, was sie hören wollen, dann können sie mich bemitleiden, weil ich unterdrückt werde. Das will ich aber nicht.“

Marna T., 17 Jahre, Schülerin eines Gymnasiums in Berlin*


 

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„Ich gebe Männern nach Möglichkeit nicht die Hand. Ich halte mich an das religiöse Gebot des Islams. Ich trage ja auch Kopftuch und faste und bete. Das Nicht-Handgeben gehört auch zu den Geboten und in meiner Familie ist das so. Es halten sich alle daran. Da wäre es komisch, wenn ich es machen würde. Wenn ich doch einmal in der Schule oder im Alltag in die Situation komme, dass mir ein Mann die Hand geben möchte, dann muss ich zugeben, dass ich mich nicht immer traue, das durchzuziehen und wirklich nicht die Hand zu geben. Es passiert mir aber sehr selten. Muslime würden mir sowieso nicht die Hand anbieten, weil ich Kopftuch trage und auch bei den meisten Nicht-Muslimen ist klar, dass sie auf Abstand gehen. Sagen wir es einmal so: Hier haben wir Frauen mit Kopftuch es zur Abwechslung einmal einfacher. Die Männer haben da viel mehr zu kämpfen, also zu reden, wenn sie Frauen nicht die Hand geben wollen.“

Salwa, 16 Jahre, Schülerin*


 

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„Das Thema Händeschütteln kommt weder im Koran noch in den Überlieferungen des Propheten vor und grundsätzlich ist aus islamischer Sicht alles erlaubt, was nicht verboten ist. Tatsächlich ist nur ein kleiner Teil der Gebote eindeutig. Die meisten Stellen sind mehrdeutig und diese Mehrdeutigkeit ist gewollt und ein wichtiges Prinzip des Islams.

Der Prophet Muhammad hat sich nie dahingehend geäußert, dass Händeschütteln verboten sei. Im Gegenteil: Es gibt Überlieferungen, dass der Prophet in Medina auf Frauen traf, die ihm die Hand hinstreckten, und er nahm die Hand zum Gruß.

Als Beleg für das Verbot, die Hand zu schütteln, wird die Aussage eines Gefährten des Propheten herangezogen. Dieser habe gesagt, dass er sich lieber mit einem schweren Gegenstand auf den Kopf schlagen lassen wolle, als sich von einer Frau berühren zu lassen. Dies war aber – wie gesagt – ein Gefährte des Propheten, dessen Worte nicht den gleichen Stellenwert haben, wie die des Propheten.

Ich sehe also keine Begründung dafür, weshalb ich einer Frau nicht die Hand geben sollte.“

Abdul Adhim Kamouss, Imam, Berlin


 

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„Jeder Mensch hat das Recht auf Unberührtheit. Es ist ein allgemeingültiges Recht, von dem Menschen überall auf der Welt Gebrauch machen. Die Gründe sind verschieden und sollten erstmal nicht negativ bewertet werden. In der Praxis sieht es für einen Muslem/eine Muslimin, der/die gern das Recht auf Unberührtheit ausleben möchte, sehr schwierig aus. In dem Moment wo ihm/ihr jemand die Hand reichen möchte. Viele Menschen erwidern diese freundliche Geste aus Respekt und/oder Angst davor, dass dieser Mensch sich abgewiesen fühlt. In dieser Situation wird das Recht von dieser Person unterdrückt.

Für viele Menschen jedoch ist dieses Recht ein wichtiger Punkt in ihrem Leben, welcher sie beispielsweise in ihrem selig-spirituellen Zustand beeinflusst. Ob jemand dieses Recht gegenüber einem bestimmten Geschlecht, einer bestimmten Personengruppe oder einer bestimmten Person auslebt, wie das beispielweise bei der Queen von England zu sehen ist, sollte erstmal unbewertet bleiben. Hier spielt auch das Thema der Vorurteile eine Rolle. Vorurteile führen dann dazu, dass die Auslebung des Rechts auf körperliche Unberührtheit als eine Abneigung bzw. Abweisung verstanden wird. Deshalb ist es wichtig, in einen Dialog mit diesen Menschen zutreten, diese Menschen zu verstehen und diese Menschen, so wie ihre Überzeugungen, solange sie nicht abwertend sind, zu akzeptieren, um ein friedliches vorurteilloses Miteinander sichern zu können.“

Mahmoud S., Student*


 

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„Mein Vater nimmt das Verbot sehr ernst und würde Frauen grundsätzlich die Hand nicht geben. Als ich im Senegal gelebt habe, habe ich es auch so gemacht. Hier in Deutschland mache ich es anders, weil die Realität und das Verständnis dafür anders sind. Ich frage vielmehr nach dem Sinn des Händeschüttelns und des Umgangs mit meinen Mitmenschen. Ich kann nachvollziehen, dass manche Frauen, denen das Verbot fremd ist sich vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn ich ihnen die Hand nicht gebe. Ich kann ihr Gefühl, ausgegrenzt zu werden, nachvollziehen. In solchen Fällen gebe ich die Hand. Wenn Frauen meine Haltung verstehen können, dann verzichte ich lieber darauf – auf der anderen Seite geht es auch darum, ein Verständnis dafür zu fördern, dass manche Menschen andere Ideen haben. Allerdings erfährt man erst im Gespräch, wie die Position der Frauen ist und das entwickelt sich ja in der Regel erst, nachdem man sich begrüßt hat. Ich gebe also grundsätzlich allen die Hand, die mir die Hand geben wollen und versuche dann, im anschließenden Gespräch meine Position zu verdeutlichen. Es ist meines Erachtens viel wichtiger, dieses Gespräch zu führen als die ganze Geste um das Händeschütteln oder nicht Händeschütteln. Mir geht es darum, dass mein Gegenüber mich und meine Religiosität versteht und akzeptiert, genauso wie ich Ihren Frust verstehe und akzeptiere. Ich habe für mich so einen Weg gefunden. Ich empfinde es nicht so, dass ich meiner Religiosität untreu werde, wenn ich die Hand gebe, weil ich weiß, dass mir in diesem Fall die Auseinandersetzung und das Gespräch mit den anderen wichtiger ist. Ich möchte nicht, dass man die Muslime auf diese Debatte reduziert und uns vorwirft, dass wir intolerant sind, weil wir die Hand nicht geben wollen. Hier muss ein Dialog stattfinden. Vorbehalte und Stichelei führen zu nichts.“

Alioune Niang, ufuq.de


 

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Ich habe kein Problem mit meinen muslimischen Schülern und Schülerinnen. Einige tragen Kopftuch. Das hat mich anfangs irritiert und manchmal macht es mich bis heute traurig, wenn ich sehe, wie die Mädchen dann plötzlich anfangen, das Tuch zu tragen. Da gibt es schon viel Druck von den Eltern. Ich würde sie gerne dagegen schützen und sie stärken, so dass sie Nein sagen können, aber das gelingt mir nicht. Sehr schwierig finde ich allerdings manche muslimische Jungen. Ab einem gewissen Alter kann man regelrecht zuschauen, wie sie den Respekt vor uns Lehrerinnen verlieren. Das sind zum Teil Blicke, die so abschätzend und abwertend sind, dass mir ganz anders wird. Seit einiger Zeit wird dies kombiniert mit dem sehr übertriebenen Bekenntnis zum Islam. Man hat manchmal das Gefühl, es geht gar nicht so sehr um den Glauben, es geht darum, Grenzen auszutesten. Einer Kollegin ist es neulich passiert: Da spazierte ein Junge einfach aus dem Klassenzimmer. Mitten im Unterricht. Er wolle jetzt beten. Das Nicht-die-Hand-geben-Wollen ist auch so eine Masche. Vielleicht gibt es Einige, die das wirklich aus religiösen Gefühlen heraus machen, aber die Jungs bei uns, denen merke ich an, dass sie es nur machen, um mich zu ärgern. Das wiederum kann ich als Lehrerin nicht durchgehen lassen. Deshalb sehe ich in einem harten Vorgehen gegen sie den einzigen Weg. Wie der aussieht? Natürlich kann ich die Jungen nicht dazu zwingen, mir die Hand zu geben.““

Silvia K., Lehrerin, Gesamtschule in Berlin*


 

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„Ich habe keine Lust auf diese Art der Diskussion. An unserer Schule gab es einen Skandal wegen eines Vaters, der einer Lehrerin nicht die Hand geben wollte, und die Kollegin hat es sehr schlecht aufgenommen und überreagiert. Ich habe daraufhin beschlossen, dass ich solche Situationen vermeiden muss. Ich halte Eltern und Schülern die Hand einfach nicht mehr hin. Wenn jemand mich per Handschlag begrüßen will, dann gebe ich natürlich die Hand. Als Lehrerin kommt man immer mehr in die Position, dass man sich mit seinen persönlichen Ansichten und seiner Herkunft sehr zurücknehmen muss. Man darf nichts mehr von sich preisgeben, um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Ich darf kein Kreuz tragen, den Schülern nicht meine politische Meinung sagen, keine Geschenke annehmen und jetzt gibt es auch noch dies Problem mit dem Begrüßen. Ich fühle mich merkwürdig und es ist anders als vor 20 Jahren, als ich anfing. Damals war es irgendwie herzlicher und persönlicher. Aber wahrscheinlich geht es nicht anders. Die Ansprüche sind einfach zu unterschiedlich“.

Karin K., Lehrerin, Privatschule in Berlin*


 

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„In einer freiheitlichen Gesellschaft kann niemand zu einem bestimmten Begrüßungs- und Verabschiedungsritual gezwungen werden. Zur Freiheit gehört es auch, dass Menschen sich entgegen gesellschaftlicher Sitten und Normen verhalten dürfen. Zugleich ist es legitim, hierüber zu diskutieren, schließlich benötigt eine Gesellschaft, will sie nicht in Teilgesellschaften zersplittern, Sollnormen und ein soziokulturelles Koordinatennetz.

Leider nennen wir in Deutschland so etwas neuerdings Leitkultur – ein Macht- und Dominanzbegriff. Er vermittelt kulturellen und religiösen Minderheiten in unserem Land das Gefühl, sie seien zutiefst rückständig. Daher ist der Widerstand gegen diese ominöse Leitkultur vorprogrammiert. Leitkultur ist ein Begriff, der spalten will, da er der Mehrheitsgesellschaft allein durch die Abgrenzung von den Minderheiten ein temporäres Wir-Gefühl verleihen soll, und den Minderheiten, die noch immer bemüht sind, einen Platz im deutschen Narrativ eines gesamtgesellschaftlichen Wir zu finden, abermals zurückstößt. Man hätte diesen Konflikt entschärfen können, hätte man den harmlosen und besseren Ausdruck Knigge verwendet, denn genau hierum geht es.

Ebenso hätten viele Mitbürger muslimischen Glaubens gelassener mit dem Thema umgehen können. Die islamische Lehre kennt schließlich den Begriff ‚urf der die Beachtung lokaler Sitten und Normen befürwortet, solange sich diese nicht gegen den Glauben richten. Händeschütteln ist ein solcher Brauch, der in den westlichen Gesellschaften für Frieden, Freundschaft und Vertrauen steht. Diese Geste stellt keinen intimen Körperkontakt dar.

Verständlich, dass die Mehrheitsgesellschaft irritiert wirkt, wenn Minderheiten sich dieser essentiellen Geste verweigern. Zwei Fragen müssen wir Muslime uns selbstkritisch stellen: Zum einen, warum erschweren wir unseren nichtmuslimischen Mitbürgern den Zugang zum Islam und zu uns Muslimen, indem wir hierzulande auf die strengsten Auslegungen des Islams beharren, die oftmals den Weg in das religiöse Ghetto ebnen? Warum verschweigen wir gegenüber der Mehrheitsgesellschaft, aber auch uns gegenüber, dass es nicht wenige Gelehrte gibt, die im gegengeschlechtlichen Händeschütteln kein Problem sehen, solange es Ausdruck von Frieden und Vertrauen ist?

Aber auch die Mehrheitsgesellschaft muss sich die Frage gefallen lassen, wie lange sie noch versuchen will, Integration durch Machtbegriffe zu gestalten. Dies wird nämlich zu Segregation führen. Ist die Zeit nicht längst überfällig, dass das Einwanderungsland Deutschland zu einem offenem Narrativ findet, dass alle Bürger sich gleichermaßen mit dem Land und seiner Geschichte identifizieren lässt?“

Muhammad Sameer Murtaza, Islamwissenschaftler und Buchautor, Stiftung Weltethos

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